Worum geht es?
Nach Mitsch und Jorgensen ist Ingenieurökologie die
Gestaltung nachhaltiger Ökosysteme, die die menschliche Gesellschaft und ihre natürliche Umwelt zum beiderseitigen Nutzen integrieren.
Bergen et al. (2001) leiten daraus vier zentrale Elemente der Ingenieurökologie ab:
- Sie basiert auf der ökologischen Wissenschaft.
- Sie umfasst alle Arten von Ökosystemen und mögliche Wechselwirkungen zwischen Mensch und Ökosystem.
- Sie bezieht technische Planung ein und
- kennt ein zugrundeliegendes Wertesystem an.
Barrett (2009) konkretisiert die Definition von Ingenieurökologie als:
Design, Bau, Betrieb und Management (d. h. Engineering) von Landschafts-/Wasserstrukturen und damit verbundenen Pflanzen- und Tiergemeinschaften (d. h. Ökosystemen) zum Nutzen der Menschheit und oft auch der Natur.
Schönborn und Runge (2021) betonen den holistischen Blick:
Ingenieurökologie integriert ökologische Prinzipien, Prozesse und Organismen mit bestehender Ingenieurpraxis zu einem ganzheitlichen Ansatz zur Problemlösung.
Im Zentrum der Ingenieurökologie steht die nachhaltige Integration menschlicher Veränderungen in die umgebenden Ökosysteme. Die ingenieurökologische Gestaltung findet als Teil eines Ökosystems statt. Die Ingenieurökologie stellt somit die disziplinübergreifende Klammer dar, welche Grundlagen- und angewandte Wissenschaften kombiniert. Durch adaptives Design kann sie zur Wiederherstellung, Schaffung und Management terrestrischer, aquatischer, aber auch urbaner Ökosysteme angewendet werden. |
Was sind zentrale Prinzipien?
Schönborn und Runge (2021) schlagen sieben zentrale Prinzipien für ingenieurökologische Vorhaben vor:
- Vermeidung (z. B. gefährliche Stoffe, Emissionen, ...)
- Ökologische Prozesse und Organismen als Instrument oder Modell für das ingenieurökologische Design (z. B. naturbasierte Lösungen)
- Maximum an erneuerbarer Energie (während der Anwendung)
- Maximale Recyclingeffizienz innerhalb der Systemgrenzen (während der Anwendung)
- Geringe externalisierte Umweltkosten während des gesamten Lebenszyklus (z. B. durch Verwendung von Materialien mit geringen Fußabdrücken)
- Design für Multifunktionalität (z.B. Funktion eines Projektes für Reinigung, Kühlung, Erholung, als Biotop ...)
- Verbesserung der Lebensqualität für Mensch und Natur (z. B. durch Partizipation aller Stakeholder und einem "Advokaten für die Natur")
Wofür werden ingenieurökologische Herangehensweisen genutzt?
Mitsch und Jorgensen (2004) haben fünf Kategorien für ökologisch-konzeptionelle Planungen identifiziert:
- Ökosysteme werden genutzt, um Verschmutzungen zu reduzieren.
(z. B. Phytoremediation, Abwasserfeuchtgebiete und Bioretention von Regenwasser, um überschüssige Nährstoffe und Metallverschmutzung zu filtern).
- Ökosysteme werden imitiert oder "kopiert", um ein Ressourcenproblem zu lösen.
(z. B. Wiederherstellung von Wäldern, Ersatz von Feuchtgebieten und Installation von Regengärten im urbanen Raum)
- Ökosysteme werden unterstützt, um sich nach großen Eingriffen wieder zu regenerieren.
(z. B. Renaturierung von ehemaligen Bergbaugebieten und die Wiederherstellung von Seen und Wasserläufen mit ökologisch wertvollen Uferkorridoren)
- Ökosysteme werden (mit ökologischem Augenmaß) verändert, um ein Umweltproblem zu lösen.
(z. B. selektive Holzernte oder Biomanipulation wie die Einführung von Raubfischen, um planktivorische Fische zu reduzieren -> dadurch erhöht sich das Vorkommen an Zooplankton -> Algen und Phytoplankton werden konsumiert -> das Wasser wird klarer)
- Ökosysteme werden zielführend genutzt, ohne das ökologische Gleichgewicht zu zerstören.
(z. B. nachhaltige Agrarökosysteme, Multispezies-Aquakultur).
Was sind aktuelle und zukünftige Aufgabengebiete der Ingenieurökologie?
Die Strategie 2030 (aus dem Jahr 2021) der Ingenieurökologische Vereinigung e.V. beschreibt folgende Felder:
1. Nachhaltige Siedlungsökosysteme und urbane grüne Infrastruktur
(von Quartiersebene bis Stadt-/Landschaftsebene), z.B.
- Ökologischen Gestaltung von nachhaltigen und klimafreundlichen Siedlungs-Ökosystemen, einschließlich Insekten-, pflanzen- und tiergerechte Stadtentwicklung, Stadtökologie und -planung
- Klimasensible Infrastrukturplanungen, Temperaturregulation in Städten
- Wassersensible Planung mit Fokus auf Ökosystemleistungen, einschließlich Hochwasserschutz und Katastrophenvorsorge durch Wasserrückhalt und Retentionsräume
- Nachhaltiges Regenwassermanagement
- Förderung von Naherholung und Biodiversität in Gärten (urbanes Gärtnern, urbane Landwirtschaft), Parks und Stadtwälder etc.
2. Multifunktionale Strukturelemente ausgeführt als naturbasierte Lösungen
(von Bauwerks- / Objektebene bis zur Quartiersebene), z.B.
- Ökologische Korridore
- Grüngleisnetzwerke, Straßenbegleitgrün, Gründämme
- Dach- und Vertikalbegrünungen
- Nachhaltiges Regen-/Brauchwasser- und Ressourcenmanagement
- Gewässerrenaturierung
- Ingenieurbiologische Maßnahmen zur Böschungsstabilisierung
- Naturbasierte Wasser- und Luftreinhaltung, wie Pflanzenkläranlagen, Straßenbäume und durchlässige Beläge
3. Strategien und Maßnahmen zur Förderung der Artenvielfalt im urbanen Raum
(Ökologisch wertvolle urbane, private und öffentliche Grünanlagen als neuer Lebensraum für gefährdete Insekten, Tiere und Pflanzen), z.B.
- Pflanzen- und tiergerechte (inkludiert Pilze und Flechten) Stadtentwicklung (Animal-Aided Design), Stadtökologie und –planung
- Insekten-, pflanzen- und tiergerechte Gestaltung und Pflege urbaner Grünanlagen (privat + öffentlich) mit autochthonen Pflanzen
- Ökologische Gewässerunterhaltung
4. Landschaftsentwicklung, Landschaftsökologie und –planung, Biotopverbundnetze, z.B.
- Naturschutzmaßnahmen im ländlichen Raum, wie Ackerrandstreifen und Gewässerschonstreifen
- Hochwasserschutz und Katastrophenvorsorge durch Wasserrückhalt und Retentionsräume
- Renaturierungs-, Revitalisierungs- und Rekonstruktionsmaßnahmen von Ökosystemen unterschiedlicher Degradierung als Korridore Stadt-Umland, darunter Flächen ehemaliger anthropogener Nutzung (Sukzessionsflächen), Gewässeraltarme, Fluss-Auen-Ökosystemen, naturnaher Wasserbau, Offenland, Wald, etc.
- Bodenschutz und Brachflächenrenaturierung
5. Naturnahe Behandlungssysteme - Kreislaufwirtschaft , z.B.
- Flächenkreislaufwirtschaft
- Pflanzenkläranlagen, Retentionsbodenfilter
- Abwasserwiederverwendung
- Technische / künstliche Feuchtgebiete
- Klärschlammvererdungsanlagen
- Biologische Abfallbehandlung
Hilfreiche Links
Ingenieurökologische Vereinigung
Seit 1993 ist die Ingenieurökologische Vereinigung ein eingetragener gemeinnütziger Verein, dessen Mitglieder Ökosysteme im Mikro- und Makromaßstab gestalten und deren bestmögliche Gestaltung auch über Forschungs- und Entwicklungsprojekte begleiten. Der Verein fördert das Fachgebiet der Ingenieurökologie sowie den dazu notwendigen Austausch zwischen Wissenschaft, Verwaltung und Anwendung speziell im deutschsprachigen Raum.
Auch unsere Arbeitsgruppe ist im Verein aktiv und im Präsidium vertreten.
Wikipedia-Eintrag zur Ingenieurökologie
Was ist die Historie der Ingenieurökologie? Welche Schlüsselkonzepte und Definitionen gibt es? Was sind typische Anwendungen? Welche Gestaltungsrichtlinien liegen der Ingenieurökologie zugrunde? Was umfassen die 19 Designprinzipien für ökologisches Engineering nach Mitsch und Jorgensen?
Dieser Wikipediabeitrag wurde maßgeblich von unserer Arbeitsgruppe verfasst.